Wie innere Haltungen Gespräche erleichtern oder erschweren:

Meine Einstellung bestimmt, wie mein Gespräch verläuft

Oft ergeben sich Gesprächshaltungen spontan - je nachdem, welche Bedeutung das Gesprächsthema für den einzelnen hat und welche Konstellation zwischen den Teilnehmern herrscht.

von: Henri Marzillier
mit Fotos von: n.N.

Meine Einstellung zeigt, wie sehr ich mich einlasse

Wir haben an anderer Stelle gesehen, dass wir in bestimmten Situationen Rollen wählen, die wir für angemessen halten oder die unser Gegenüber anbietet. Wendet sich jemand im Kind-Ich-Modus mit einem Problem an uns, liegt es vielleicht nahe, ins helfende Eltern-Ich zu schlüpfen und so eine komplementäre Konstellation herzustellen. Dabei willigen wir ein, die Verantwortung für die Lösung des Problems zumindest zeitweise zu übernehmen. Schlüpfen wir in eine Rolle, verändern wir dabei nicht unbedingt unsere Haltung zum Thema oder Gesprächspartner, denn die hängt von unseren Einstellungen, Glaubenssätzen und moralischen Wertvorstellungen ab. Wir vertreten unsere Werte, während wir auf unseren Gesprächspartner in der von ihm gewählten Rolle eingehen.

Sprechen wir mit einem Fremden oder einem entfernten Bekannten, sind wir möglicherweise weniger an seinen Reaktionen interessiert, als bei einem Menschen, der uns sehr wichtig ist. Meine Gesprächshaltung richtet sich also auch danach, ob und in welchem Abhängigkeitsverhältnis ich mich zum Gesprächspartner befinde.

Eng damit verknüpft ist die Frage, wie wichtig das Thema an sich für uns ist. Sind wir emotional involviert, berührt es einen unser „neuralgischen” Punkte, können wir im Gespräch etwas lernen oder dient es der allgemeinen Unterhaltung?

Beim Zuhören zeigen wir besonders deutlich, welche Haltung wir dem Gespräch gegenüber einnehmen. Auch hier geht es ums Wahrnehmen, Interpretieren und Fühlen. Das Zuhören ist eine der am meisten unterschätzten Fähigkeiten in der Kommunikation. Wer gut zuhören kann, beweist emotionale Intelligenz und Empathie. Im Alltagsleben wird jedoch mit unterschiedlichen Haltungen zugehört.

Vier Arten des Zuhörens

Neben dem „Weghörer” treffen wir in Gesprächen auf den selektiven Zuhörer, den bewertenden Zuhörer oder im Idealfall auf den empathischen Zuhörer. Nachfolgend schauen wir uns vier Varianten Zuzuhören genauer an (vgl. Weisbach).

Pseudozuhören

Ich bin nur wenig involviert, beschäftige mich parallel mit meinen eigenen Gedanken oder warte ungeduldig darauf, selbst das Wort ergreifen zu können. Im Stillen denke ich: „Das reicht mir an Info, ich weiß, was du meinst, jetzt bin mal dran mit Reden.” Begleitet wird das Pseudozuhören mit zustimmendem Kopfnicken, leichtem Vorbeugen und Luftholen, kombiniert mit Floskeln wie: „Ich verstehe, was du meinst…” Zum gegebenen Zeitpunkt übernehme ich das Gespräch und erläutere meine Sicht auf das Gesagte. Ich nehme keinen Bezug auf die Situation des Anderen und gebe auch keine Bestätigung, dass ich seine Gedanken nachvollziehen kann.

Aufnehmendes Zuhören

… ist die nächste Stufe, die die Bezeichnung „Zuhören” erst verdient. Beim aufnehmenden Zuhören widme ich meine Aufmerksamkeit voll und ganz meinem Gegenüber. Das signalisiere ich durch kontinuierlichen Blickkontakt und Kopfnicken, was gleichbedeutend ist mit „Das, was du sagst ist bei mir angekommen.” Dabei zeigt auch meine Körpersprache (Mimik und Gestik), wie ich zu dem Gesagten stehe. Aufnehmendes Zuhören kann auch als „teilnahmsvolles Schweigen” beschrieben werden: Ich halte meinen Mund und lasse den Anderen ausreden. Ich falle ihm nicht ins Wort und komme nicht zwischendurch mit eigenen Erfahrungen, die ich in einer ähnlichen Situation erlebt habe.

Beim aufnehmenden Zuhören empfange ich sehr wohl auf allen vier Kanälen. Ich halte mich jedoch mit eigenen Interpretationen oder Äußerungen zurück. Ich höre einfach nur zu.

Umschreibendes Zuhören

Indem ich das Gehörte mit eigenen Worten wiederhole, unterstütze ich meinen Gesprächspartner in seinem Anliegen. Ich zeige nicht nur, dass ich zugehört habe, sondern auch dass ich die wesentlichen Aussagen verstanden habe. Auch hier besteht die Herausforderung darin, sich zunächst mit einer eigenen Meinung, Bewertung oder gut gemeinten Ratschlägen zurückzuhalten. Ziel des umschreibenden Zuhörens ist das Verstehen der Ansichten meines Gesprächspartners.

Empathisches Zuhören

Die höchste Stufe des Zuhörens besteht darin, nicht nur den Inhalt des Gesagten aufzunehmen, sondern zugleich ein Gefühl dafür zu entwickeln, was den Anderen emotional bewegt, was ihm besonders wichtig ist, wie ihm in der Situation zumute ist. Anders als beim umschreibenden Zuhören gebe ich die Aussage nicht vollständig wieder, sondern fasse in Worte, was gefühlsmäßig bei mir angekommen ist. Damit mache ich deutlich, dass ich bemüht bin, mich ganz auf den Anderen einzustellen. Erst dadurch schaffe ich ein Klima der Verbundenheit und des Vertrauens.
Die wichtigste Fähigkeit besteht für den empathischen Zuhörer darin, die Gefühle des Gesprächspartners zu erkennen und zu würdigen. Kann ich seine Gefühle und die damit verbundenen Bedürfnisse nachvollziehen, trete ich in Beziehung zu ihm.

Durch Zuhören schaffe ich eine vertrauensvolle Atmosphäre

Wer zuhört, gibt dem Anderen die Chance, zum „Sprechdenken”, und damit zum eigentlichen Kern seines Anliegens vorzudringen. Zuhören erfordert Aufmerksamkeit und ehrliches Interesse.
Zugleich kann ich Gespräche lenken, indem ich Fragen stelle, die den Anderen zum Weiterdenken animieren.

Mit Achtung und Respekt sorgen wir für eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der beide Seiten offen und empfänglich für die Themen des Anderen bleiben. Auf der anderen Seite kann Zuhören auch zur Geduldsprobe werden, wenn unser Gesprächspartner einfach kein Ende findet und Gesprächsangebote ignoriert. Hier empfiehlt es sich, wirkungsvolle Gesprächsstopper einzusetzen, die das Gespräch höflich aber bestimmt beenden:
• sich für das Gespräch bedanken
• das Gespräch vertagen
• einen wichtigen Termin haben
• das eigene Bedürfnis nach Nahrung, Schlaf, Bewegung, Nachdenken etc. mitteilen
Will der Sprecher kein Ende finden, geht es ihm oft gar nicht um den eigentlichen Inhalt, sondern vielleicht um Aufmerksamkeit,
Anerkennung oder darum, seiner inneren Einsamkeit zu entkommen.

Ist meine Gesprächshaltung konstruktiv oder destruktiv?

Oft haben wir die Absicht, auf eine Problemdarstellung mitfühlend und helfend zu reagieren. Je nachdem, welche innere Haltung mich antreibt, können Gespräche auf ganz unterschiedliche Weise verlaufen (vgl. Weisbach).

Werten & Urteilen

Eigene Werte und moralische Standpunkte stehen im Vordergrund, wenn ich die Aussagen meines Gegenübers werte. Ich fälle ein Urteil über das, was er sagt. Ich orientiere mich an meinen Werten und Normen. Das kann meinem Gesprächspartner Orientierung geben und zu neuem Denken anregen. Andererseits stelle ich, ohne dass wir uns vorher ausführlich austauschen, meine Moral und Werte über die des Anderen.

Interpretieren

Fehlende Informationen des Gesprächspartners ergänze ich, wie wir bereits in Kapitel 5 gesehen haben, selbstständig, anstatt sie zu erfragen: Ich interpretiere die Situation aus meiner Perspektive. Indem ich nicht nachfrage, betone ich zugleich, was mir am Gesagten wichtig erscheint. Ich stelle meine Sichtweise zum Problem des Anderen dar und gebe meinem Gesprächspartner vielleicht den entscheidenden Impuls für eine neue, befreiende Denkrichtung. Andererseits vergebe ich durch mein Interpretieren die Chance, das Problem in seiner ganzen Tragweite kennenzulernen.

Trösten

Tut mir der Andere wegen seiner misslichen Lage leid, versuche ich zu ermutigen, zu trösten und zu beruhigen. Indem ich Trost spende, gebe ich dem Anderen zu verstehen, dass ich mit ihm mitfühle, dass es mir wichtig ist, wie es ihm geht. Lenke ich die Aufmerksamkeit damit von der aktuellen Situation weg in die bessere Zukunft, ignoriere ich andererseits den Anderen und spiele sein Problem damit herunter.

Ausfragen

Lenke ich das Gespräch mit meinen Fragen in eine Richtung, die mich besonders interessiert oder mir besonders wichtig erscheint, unterstelle ich meinem Gegenüber unausgesprochen, das Wesentliche an der Sache nicht zu erkennen oder zu verschweigen. Ich versuche damit vielleicht auch, meine Neugier stillen, indem ich Informationen erfrage, die mit der Sache nichts zu tun haben und die mich eigentlich nichts angehen. Andererseits können meine Fragen meinen Gesprächspartner auch auf die richtige Spur zur Lösung seines Problems lenken.

Ratschläge erteilen

Mit Ratschlägen und Lösungsvorschlägen signalisiere ich, dass ich das Problem bereits vollständig erfasst und für den Anderen gelöst habe. Ich warte nicht ab, bis ich mehr über die Themen und die damit verbundenen Sorgen meines Gegenübers erfahre, sondern demonstriere Überlegenheit mit meinen Lösungen. Andererseits können meine spontanen Ratschläge auch hilfreiche Impulse geben.

Verständnis zeigen

Ich zeige mein Bemühen, das Anliegen oder Problem des Anderen wirklich zu erfassen. Ich frage nach, ich wiederhole das Gesagte mit eigenen Worten, weil ich sicher gehen will, den Anderen richtig verstanden zu haben. Ich nehme die Perspektive meines Gesprächspartners ein und ermutige ihn zu weiteren Ausführungen. Damit bestätige ich, dass ich seine Gedanken und Gefühle nachvollziehe, ohne sie zu werten. Ich verstehe nicht nur die Fakten, sondern auch, welche Gefühle den Anderen bewegen.

Jede dieser Gesprächshaltungen hat zum richtigen Zeitpunkt ihre Berechtigung. Am Anfang eines Gesprächs geht es vor allem darum, die Gedanken des Anderen nachzuvollziehen und das Problem und seine Zusammenhänge zu erfassen. Der Andere bekommt unsere Aufmerksamkeit, ohne dass wir ihm in allen Punkten zustimmen müssen.

Fazit

  • Meine Gesprächshaltung ist Ergebnis des Dialogs meines inneren Teams. Wiederum geht es darum, Bedürfnisse zu erfüllen. Eine Win-Win-Situation entsteht, wenn ich mir eigene Bedürfnisse erfüllen kann, indem ich die meines Gesprächspartners erfülle.
  • Zuhören ist eine der am meisten unterschätzten Kommunikationsfähigkeiten. Wer gut zuhören kann, zeigt aufrichtiges Interesse am Gesprächspartner, schafft dadurch Vertrauen und hilft dem Anderen dabei, seine Anliegen offen und transparent zu formulieren.
  • Gesprächshaltungen zeigen sich in der Art, wie sehr ich versuche, Einfluss auf die Autonomie und Verantwortlichkeit meines Gesprächspartners zu nehmen. Ein Ratschlag kann je nachdem, zu welchem Zeitpunkt ich ihn erteile, beim Anderen sowohl als Grenzverletzung, als auch als willkommene Unterstützung ankommen.

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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meinem E-Book „Immer die richtigen Worte finden”. Nähere Informationen finden sich unter www.marzillier.com/ebooks-lesen.

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