Die Perspektive wechseln:

Die Macht des positiven Denkens

Wenn wir unsere Wahrnehmungsfilter wechseln, können wir die Macht des positiven Denken in allen Lebensbereichen nutzen.

von: Henri Marzillier
mit Fotos von: Alvin Mahmudov

Positives Denken wird oft als naiv belächelt. Kein Wunder bei den Prägungen, die die meisten Menschen erfahren haben und all den schaurigen Nachrichten, die täglich auf uns einströmen. Dabei ist positives Denken ist dort beheimatet, wo Fortschritt und Entwicklung stattfinden. Wer die richtigen Worte findet, andere überzeugt und motiviert, denkt und spricht positiv.

Positives Denken

Was bedeutet es eigentlich genau, positiv zu denken? Positiv denken bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die positiven Aspekte einer Sache lenken. Wir können auch sagen, wir denken konstruktiv, aufbauend, lösungsorientiert und kompromissbereit. (vgl. Kapitel 1) Positiv denken heißt nicht, dass wir die Realität oder negative Konsequenzen einer Situation komplett ausblenden oder verleugnen. Jedes Ereignis, jede Entscheidung hat positive und negative Seiten.
Je nachdem, welchem Aspekt wir unsere Aufmerksamkeit widmen, lassen wir ihn in unserer Wahrnehmung wachsen. Sowohl Optimisten als auch Pessimisten haben jeweils recht, wenn sie glauben, etwas erreichen oder nicht erreichen zu können. Verantwortlich dafür sind unsere Glaubenssätze, die unser Handeln steuern.

Glaube und Glaubenssätze

Wir sprechen oft über Dinge, ohne eine klare Vorstellung von ihnen zu haben. Viele sehen ihren Glauben als persönliche Überzeugung, obwohl es sich lediglich um ein „Gefühl von Gewissheit” handelt, dass sich eine Sache so oder anders verhält. (vgl. Robbins: Das Prinzip des geistigen Erfolgs, Berlin, 2018)
Hören wir von einer neuen Idee, können wir daran glauben oder nicht. Solange wir den Eindruck haben, nicht genügend zu wissen, vertrauen wir. Wie wir in anderen Vertrauen für eine Idee wecken und sie überzeugen können, haben wir im Kapitel 8 gesehen, als es um den pyramidalen Aufbau von Argumenten ging. Spricht nur ein Argument für die Idee, steht sie und unser Glaube auf wackeligen Füßen. Haben wir genügend gute Erfahrungen mit einer Idee gemacht, fällt es uns auch leichter, ausreichend Argumente für die Idee zu formulieren.

Die Praxis sieht oft anders aus. In einem Glaubenssatz haben wir gleich mehrere Dinge gebündelt, an die wir glauben (wollen). Bei näherer Betrachtung steht der einzelne Glaube auch nicht auf soliden Argumenten, sondern beruht auf unscharfen Vorurteilen. Der Einfachheit halber drücken wir unsere Glaubenssätze in Metaphern aus: „Das Leben ist kein Ponyhof”, „Robert ist der beste Lehrer”, „Ich habe wieder einmal alles richtig gemacht”, „Die Anderen sind selber schuld”… etc. Es ist dem Energiespar-Modus unseres Gehirns geschuldet, dass wir manche Zusammenhänge einfach nicht hinterfragen wollen. So sammeln Pessimisten Argumente für ihre Annahmen und sind am Ende überzeugt, dass ihr Glas halbleer ist. Dem Optimisten geht es genauso, wenn er glaubt, sein Glas sei halbvoll. Beide bestätigen ihren Glauben, indem sie entsprechende Erfahrungen selbst kreieren. Damit befriedigen sie sich zugleich ein bestimmtes Bedürfnis und werden am Ende recht behalten: Der Pessimist sichert seine Komfort-Zone ab, der Optimist motiviert sich, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Beide denken in diesem Sinne „positiv”.

Unsere Alltagssprache ist negativ geprägt

Die „Neins” der Kindheit haben uns so sehr geprägt, dass sie uns heute als selbstverständlich und gar nicht mehr als fragwürdig auffallen. Frage ich einen Bekannten auf der Straße, wie es ihm denn so geht, bekomme ich zur Antwort: „Ich kann nicht besser klagen.” Spreche ich einen Kollegen auf einen gemeinsamen Auftrag hin an, sagt er: „Im Moment habe ich mehr zu tun, als mir lieb ist, aber ich will ja nicht jammern”. Denke ich selbst über meine eigenen Ergebnisse nach, höre ich mich sagen: „Das war ja gar nicht schlecht”. In allen Formulierungen steckt ein mehr oder weniger gut kaschiertes „Nein”.
Was wir über uns selbst denken, strahlen wir auf allen Kanälen auch aus. (vgl. Kapitel 1)

Worte werden zu Bildern konvertiert

Unsere Vorstellungskraft ist immer schneller als unser Verstand (vgl. Kapitel 2). Klare, eindeutig zuordenbare Beschreibungen werden sofort in Bilder gewandelt. Die Datenverarbeitung unseres Gehirns ignoriert dabei Informationen, in denen Verneinungen enthalten sind. Wenn wir nicht an den rosa Elefanten denken sollen, machen wir genau das: wir stellen ihn uns bildlich vor. Wenn wir eine Landschaft „ohne Baum” zeichnen sollen, sehen wir den verbotenen Baum trotzdem, auch wenn wir ihn dann nicht zeichnen. Hören wir den Kollegen sagen, er wolle ja nicht jammern, sehen wir ein jammerndes Häufchen Unglück vor unserem geistigen Auge.
Wie wir beim „Kreislauf zwischen Impuls und Verhalten” in Kapitel 7 gesehen haben, löst ein Impuls eine Routine in uns aus, die uns vom Bedürfnis-Check über die Visualisierung und deren Interpretation ein Gefühl vermittelt, das uns zu einer bestimmten Reaktion motiviert.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir Ziele positiv formulieren - also das, benennen, was wir anstreben und nicht das, was wir vermeiden wollen. Sagen wir „Ich möchte nicht mehr so viel arbeiten” klingt das zwar verständlich. Allerdings sage ich hier nur, was ich nicht mehr will. Warum ich das nicht mehr will – das Motiv hinter meinem Ziel - benenne ich nicht. Nehme ich mir stattdessen vor, in der Woche fünf Stunden mehr Sport zu treiben oder mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, habe ich einen Wunsch formuliert, aus dem ich ein konkretes positives Ziel machen kann.

Positives Denken pflanzt sich fort

Im Gespräch mit anderen bekommt das positive Denken eine eigene Dynamik. Fängt einer an, in positiven Sätzen zu sprechen, stimmen die Anderen darin ein. Klar, es gibt immer Skeptiker, Schwarzseher oder Leute, die mal kurz „auf den Arm” wollen. Aber auch die stehen unter dem sozialen Druck, sich dem Gesprächsklima irgendwie anzupassen.

In der konkreten Alltagssituation macht es einen großen Unterschied, welches Vorzeichen mein Grundsignal hat. Ich kann zu meinem Kind beim Verabschieden sagen:
„Pass auf, dass du dich heute nicht erkältest!” … und lenke den Fokus damit auf die Gefahren des grimmigen Frosts draußen vor der Tür. Für das wohlmeinende, fürsorgliche „Eltern-Ich” mag das vielleicht ein akzeptabler Grund für diesen Satz sein (vgl. Kapitel 5). In das Denken meines Kindes pflanze ich jedoch den Gedanken an eine Erkältungskrankheit ein. Durch meinen Appell „Pass auf…!” sage ich dabei auch nicht, was das Kind machen kann, damit es sich nicht erkältet. Das denke ich vielleicht im Stillen mit und halte es für klar und selbstverständlich. Kinder wollen sich ab einem bestimmten Alter der elterlichen Fremdbestimmung entziehen. Sie praktizieren Pseudozuhören (vgl. Kapitel 2), bei dem sie uns zwar nickend zustimmen, mit ihren Gedanken jedoch schon bei den Freunden auf der Straße sind.
Wenn ich meinen Appell positiv ausdrücken will, kann ich sagen: „Achte bitte darauf, dass du heute den Tag über warm angezogen bist!” Das klingt vielleicht in den Ohren meines Kindes ganz ähnlich und es wird mir wahrscheinlich mit den gleichen Gesten „zustimmen”. Ich habe ihm jedoch eine andere, eine positive Botschaft mit auf den Weg gegeben. Die Chancen stehen also wesentlich besser, dass es sich an die positive Botschaft erinnert, als an die vor Negativem warnende. Darüber hinaus sage ich auch, ich glaube daran, dass du schon selbstständig bist und darauf achten wirst, dass du „warm angezogen” bist. Damit übertrage ich dem Kind ein Stück Verantwortung für die eigene Gesundheit. Die wohlmeinenden Ge- und Verbote der Eltern haben uns zu der Überzeugung geführt, dass unser eigenes Denken und Fühlen wohl fehlerhaft sein muss.
Diesen Glaubenssatz schleppen wir unser Leben lang mit uns herum. Wir wenden ihn in allen möglichen und unmöglichen Situationen an, bis es uns irgendwann einmal „wie Schuppen von den Augen fällt”.

Gewünschtes Verhalten ansprechen

Sprechen wir das von uns gewünschte Verhalten bei anderen direkt an, betonen wir die Dinge, die wir erreichen möchten.
Während „Bitte achte darauf, dass du nicht zu spät kommst” eine vorweggenommene Kritik enthält, sagen wir mit „Bitte achte darauf, dass du rechtzeitig da bist”, wie wir es gern hätten. Der erste Satz demotiviert, der zweite motiviert. Ähnlich verhält es sich bei Drohungen.
Mit drohenden Formulierungen lenken wir die Aufmerksamkeit auf das Negative:
„Bevor du nicht den Schal umgebunden, die Handschuhe angezogen und die Mütze aufgesetzt hast, verlässt du mir nicht das Haus”
Das ist die Art von Fremdbestimmung, auf die Menschen in hierarchischen Strukturen auch in fortgeschrittenem Alter noch allergisch reagieren. Wollen wir den Fokus auf das gewünschte Ergebnis lenken, zeigen wir Konsequenzen als Ursache-Wirkungs-Zusammenhang auf:
„Sobald du dich warm genug angezogen hast, kannst du gehen.” Mit positiven Formulierungen führen wir unserem Gegenüber dessen Entscheidungsfreiheit vor Augen. (vgl. Weisbach)

Kritik ohne Fehlersuche

Destruktive Kritik richtet die Aufmerksamkeit auf unsere nicht erfüllten Erwartungen und Hoffnungen. Wir ärgern uns über die Abweichung zwischen dem, was wir erwartet hatten und dem, was eingetreten ist. Mit dieser Art Kritik verschaffen wir dem Gegenüber das schlechte Gefühl, welches wir zuerst hatten. Wenn wir die Aufmerksamkeit auf Fehler lenken, untergraben wir Selbstvertrauen und Selbstachtung des Anderen. Wir verharren im Bild des Scheiterns und
schwächen damit seine Motivation zu einer
Verhaltensänderung.

Die amerikanische Psychologin Irene C. Kassorla vergleicht das einseitige Kritisieren mit „einarmigem Schwimmen” und fragt, warum wir beim Kritisieren nur die Hälfte unserer kommunikativen Fähigkeiten nutzen. Sie schlägt stattdessen vor, die Kraft beider „emotionalen Arme” zu nutzen, wenn wir mit jemanden reden: Der linke Arm repräsentiert unseren Ärger und der rechte Arm die positiven Gefühle, die wir für denjenigen hegen, mit dem wir gerade streiten. Sie empfiehlt, dass wir mit den positiven Dingen – also dem rechten Arm – beginnen und dann abwechselnd unserem Ärger Luft zu machen, um im nächsten Satz wieder etwas Gutes über den Anderen zu sagen. Sie rät auch dazu, den Wechsel der „Arme” nicht zu akribisch zu verfolgen, sondern den rechten Arm deutlich öfter zu benutzen.
Sie sagt: „Wenn Sie Erfolg haben wollen, sind Sie auf die Hilfe Ihres Partners, ihrer Freunde angewiesen. Und Sie dürfen nie vergessen, dass der Mensch neben Ihnen ein zerbrechliches, kindliches Ego hat. Und dass Sie ihn sanft behandeln müssen.” (vgl. Kassorla)

Positives Denken und Sprechen ist eine ununterbrochene Beschreibung von wünschenswerten Zielen und Zuständen. Im Gespräch nutzen wir Worte, die wir uns bereitwillig vorstellen wollen. Dazu ist es erforderlich, dass wir unser Vokabular von negativen Formulierungen befreien. Wenn wir die Beweggründe für das aktuelle Verhalten unserer Gesprächspartner anerkennen und bestätigen, finden wir am ehesten Gehör. (vgl. Kapitel 8)

Positives Denken beginnt bei uns selbst

Denke ich grundsätzlich positiv über mich selbst, führe ich ein ausgeglichenes Leben mit mir selbst und bin auch weniger anfällig für Anfeindungen anderer. Oft ist es jedoch so, dass ich mich selbst kritisiere und schlecht mache, wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht genüge. Meine innere Stimme meldet sich in ihrer gehässigen Art und fängt an, alles niederzumachen. Ich habe immer die Wahl, ob ich dem, was ich mir selbst manchmal einrede, Glauben und Aufmerksamkeit schenken will, oder ob ich mich dafür entscheide, lieber meine positiven Eigenschaften im Blick zu behalten.
Dazu kann ich meine Ansprüche an mich selbst überprüfen.
Oft sind das gar nicht meine eigenen Ansprüche, sondern die meiner früheren oder aktuellen Bezugspersonen, die mich in bestimmte Rollen drängen wollen und von mir Dinge erwarten, wie ich sein sollte oder was ich noch leisten müsste, damit ich in ihren Augen „gut” bin.

Beim Umgang mit den inneren Stimmen bewährt sich die als
„The Work” bekannte Methode der amerikanischen Autorin
Byron Katie, die uns auffordert, unsere Überzeugungen mit
folgenden vier Standardfragen zu klären:
1. Ist das wahr?
2. Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
3. Wie reagierst du, wenn du diesen Gedanken glaubst?
4. Wer wärst du ohne den Gedanken?
Mit dieser Methode lassen sich Automatismen unterbrechen, die bei Konflikten oder Problemen automatisch anlaufen. (vgl. Byron Katie)

Ich glaube, der erste Schritt zur Veränderung ist, dass wir unsbewusst machen, was genau wir ändern wollen. Wenn wir die Symptome erkannt haben, können wir nach deren Ursachen forschen.Viele Gewohnheiten sind überraschend hartnäckig. Wenn wir das akzeptieren, widerstehen wir dem Versuch, unsere anfänglich vielleicht erfolglosen Bemühungen schon nach kurzer Zeit wieder aufzugeben.

Fazit

  • Positives Denken ist konstruktiv, kompromissbereit und lösungsorientiert. Wer positiv denkt, tritt für etwas ein, ohne negative Aspekte zu ignorieren.
  • Wir glauben gern an Dinge, die wir glauben wollen. Damit bestätigen wir unser Weltbild, ohne die tatsächlichen Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zu hinterfragen. Wir fassen unsere Glaubenssätze lieber in Metaphern zusammen. Damit ersparen wir uns die Mühe, ins Detail gehen und unsere Meinung am Ende noch ändern zu müssen. Unser Bedürfnis nach Bestätigung ist oft größer als die Bereitschaft, unser bestehendes Urteil zu korrigieren.
  • Unsere Alltagssprache ist mit negativen Worten durchsetzt. Das Negative fällt uns gar nicht mehr auf, so sehr haben wir uns daran gewöhnt. Worte werden zu Bildern, Bilder lösen Gefühle in uns aus, Gefühle steuern unser Verhalten. Auch deshalb ist es sinnvoll, angestrebte Ziele in positiven Worten zu formulieren.
  • Unsere positiven Worte vermitteln anderen positive Bilder, die sie zum Handeln motivieren. Wir führen ihnen damit zugleich ihre Entscheidungsfreiheit und unser Vertrauen in ihre eigene Lösungskompetenz vor Augen.
  • Fehlersuchen sind destruktiv. Lenken wir die Aufmerksamkeit auf Fehler, untergraben wir das Selbstvertrauen des Anderen. Wir schwächen seine Motivation zur Verhaltensänderung. Ein wohl dosierter Wechsel zwischen Lob und Kritik kann dagegen einen konstruktiven Wandel einleiten, weil wir das gegenseitige Vertrauen in diesem Modus regelmäßig stärken.
  • Positives Denken beginnt bei uns selbst. Haben wir das Gefühl, unseren eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, können wir diese Ansprüche kritisch hinterfragen und Ballast abwerfen.

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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meinem E-Book „Immer die richtigen Worte finden”. Nähere Informationen finden sich unter www.marzillier.com/ebooks-lesen.

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